Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl: Wer hat die größte Verhandlungsmacht?
Der Verhandlungsexperte und WHU-Professor Dr. Lutz Kaufmann kommentiert die jüngsten Entwicklungen bei der Bundestagswahl.
Da keine einzelne Partei die Mehrheit der Sitze im Deutschen Bundestag erringen konnte, steht eine Koalitionsregierung unmittelbar bevor. Intensive Verhandlungen, Parteiversprechen und die Überbrückung von Differenzen werden den Grundstein für die nächsten Jahre legen.
„Die Sachlage zu den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl ist recht klar. Es wird eine Ampelkoalition geben, womöglich sogar recht schnell aus meiner Sicht. Das lässt sich aus parteiinternen Gemengelagen und generellen Motiven ableiten: Die Grünen werden ihren Wählern nicht erklären wollen, dass sie Herrn Laschet oder womöglich Herrn Söder (noch) zum Kanzler wählen. Sie werden der FDP gegenüber klar auf die SPD pochen. Die FDP hingegen ist generell flexibler, Herr Lindner lässt 2021 nicht erneut Verhandlungen platzen, und seine Partei steht auch weniger fest hinter ihrem (zumindest bis vor kurzem noch) Wunschpartner CDU. Die CDU hat intern zu große Konflikte, um jemanden mit klarem Auftrag und voller Unterstützung in etwaige Verhandlungen schicken zu können. Die SPD kann insofern das gleiche machen, wie Herr Scholz im Wahlkampf, nämlich den Ball sichern und Ruhe bewahren, denn je weiter die CDU von einer glaubhaften Alternative für Grüne/FDP wegdriftet, desto mehr steigt die Verhandlungsmacht der SPD für eine Ampelkoalitionsverhandlung. Paradoxerweise sind Grüne und FDP daher im Moment eigentlich noch daran interessiert, die Option einer Koalition mit der CDU am Leben zu halten.
Die derzeit oft zu lesenden Statements zum Gefangenendilemma auf Basis der Spieltheorie – mit SPD und CDU als den Gefangenen – greifen übrigens zu kurz. Die Spieltheorie setzt rational handelnde Akteure voraus – ob das gegeben ist, möge jeder Leser für sich beurteilen. Parteiinterne Dynamiken lässt diese Perspektive komplett außer acht.”
Für die CDU sehe ich nur eine einzige Chance auf eine Regierungsbeteiligung: Sie bietet den Grünen die Kanzlerschaft in Person von Robert Habeck an. Dann werden weder die Grüne Kandidatin Bearbock noch der ursprüngliche Kandidat Laschet Kanzler. Die Partei der Grünen kann das im Grunde nicht ablehnen, Parteigrößen wie bspw. Herr Winfried Kretschmann werden es sicher befürworten, und die SPD in Person von Herrn Scholz wird den Grünen ihrerseits einen Verzicht auf das Kanzleramt definitiv nicht anbieten.
Über Lutz Kaufmann
Professor Dr. Lutz Kaufmann ist Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Er forscht und lehrt seit 20 Jahren an der privaten Wirtschaftshochschule im rheinlandpfälzischen Vallendar und in Düsseldorf. Er selbst hat für seine Lehre an der WHU und für seine Forschungsarbeiten bereits zahlreiche Preise erhalten. Seine bisher etwa 40 Doktoranden haben etwa 20 nationale und weltweite Preise für ihre Dissertationen gewonnen. Viele Manager sowie Verkaufs- und Beschaffungsprofis kennen ihn aus seinen gefragten Weiterbildungsformaten für Führungskräfte rund um das Thema Verhandlungen. Mehr zu Lutz Kaufmann